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Nebenfach: Gebärdensprache

In der heutigen Folge unserer neuen berühmten Sendereihe Mehr oder weniger exotische Nebenfächer zeigen wir ihnen heute: Deutsche Gebärdensprache

Ich heiße Volker Lehmann, und dich studiere im 5. Semester Informatik. Als Nebenfach habe ich Gebärdensprache gewählt.

Was ist GS überhaupt? Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist die Sprache der Gehörlosen, Schwerhörigen...
Sie funktioniert anders als die Lautsprache. Die ,,Sprechorgane`` sind hierbei eben nicht die Stimmbänder und der ,,normale`` Sprechapparat. Es werden die Hände, die Gesichtsmimik, das Mundbild und der ,,Gebärdenraum`` (der dreidimensionale Raum im Kopf- und Oberkörperbereich) benutzt. Ich möchte jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen, wie die Sprache funktioniert. Nur kurz die Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen:

GS ist NICHT international. Jedes Land hat seine eigene GS, so wie es seine eigene Lautsprache hat. Diese Sprache ist ebenso kulturell gewachsen wie jede andere Sprache auch. Niemand hat sich überlegt, daß er nun eine neue Sprache ,,erfinden`` müsse. Die GS ist eine linguistisch vollwertige, komplette Sprache. Man kann ALLES mit ihr ausdrücken, genauso abstrakte Dinge diskutieren, und sie ist eben NICHT eine in Pantomime übersetzte oder gestikulierte Lautsprache. Sie hat eine völlig andere, eigene Grammatik. Es gibt auch eine ,,Wort-für-Wort-Übersetzung`` der Lautsprache. Diese heißt dann Lautsprachbegleitendes Gebärden (LBG) und hat außer einigen Vokabeln wenig mit der DGS zu tun.

Okay, soviel dazu.

Was macht man nun während des Studiums? Grob läßt sich das Studium (ob Nebenfach oder Hauptfach ist hierbei egal) inhaltlich in drei Teile gliedern: Für diejenigen, die noch keine sehr guten Kenntnisse in DGS haben, ist es nicht zu umgehen, die Sprachkurse zu besuchen. Das ist sehr aufwendig, aber absolut notwendig. Diese Sprache kann man nicht ,,mal eben nebenbei`` erlernen. Dann beschäftigt man sich mit der Linguistik der GS. Und ein weiterer Schwerpunkt ist der Bereich Soziologie und Kultur der Gebärdensprachgemeinschaften.

Der Fachbereich ist sehr klein, dementsprechend kennt man sehr schnell sehr viele der MitstudentInnen, auch aus den anderen Semestern. Wenn ich die Umgebung und Atmosphäre dort mit der Atmosphäre am FB Informatik vergleiche, kann ich sagen, es geht im Zentrum, wie der Fachbereich von den StudentInnen und Profs genannt wird, familiärer zu. Das liegt natürlich immer auch an einem selbst. Es finden dort keine Vorlesungen im großen Stil statt, sondern an den Seminare nehmen in der Regel zwischen drei und fünfzig Leute teil.

Die Sprache ist unglaublich faszinierend. Ich mußte total umdenken, um die Grundlagen dieser Sprache zu lernen. Dort mußte ich mit den Händen und der Mimik / Körperhaltung (beides unglaublich wichtig) nach fest vorgeschriebenen Regeln arbeiten. Jede kleine Veränderung hat einen Sinn, betonender Weise oder linguistisch. Aber diese Sprache zu benutzen macht sehr viel Spaß. Dabei ist es auch wichtig, daß man auch außerhalb der Sprachkurse noch DGS benutzt. Am Besten ist es, Kontakt zu Gehörlosen zu suchen. Das ist nicht immer einfach, aber Möglichkeiten gibt es schon. Wenn man sich erst einmal an einer Unterhaltung zwischen Gehörlosen beteiligen kann, merkt man, wie toll das ist. Sogar der linguistische Teil ist faszinierend. Linguistik ist nicht meine Lieblingsdisziplin, aber hier kann man die Komplexität der GS sehen und sogar begreifen.

Im Bereich Soziologie und Kultur steht im Vordergrund die soziale Situation der Gehörlosen, im hörenden Umfeld oder innerhalb der Gehörlosengemeinschaft. Hier wird auch diese Gemeinschaft untersucht, die Geschichte der Gehörlosen (die bisher sehr unerforscht ist) und natürlich die Kultur. Ich fand es sehr wichtig, in diesem Gebiet endlich ein bißchen Hintergrundwissen zu bekommen. Denn nur sehr wenig Hörende wissen etwas über die soziale und kulturelle Situation der Gehörlosen.

den anderen Bereichen besuchen, um sich in spezielle Themen zu vertiefen. Am FB ist noch sehr viel ungeregelt, es wird noch viel ausprobiert. Das liegt eben daran, daß es den Studiengang erst 4 Jahre gibt. Nun, als Hauptgrund steht da die Faszination an der Sprache, der Spaß am Fach. Aber es gibt auch Verbindungen zur Informatik. Das Studium der GS ist eine Sprachwissenschaft, und damit gibt es Zusammenhänge zur Sprachverarbeitung / -forschung in der Informatik. In der GS wird schon jetzt sehr viel mit dem Computer gearbeitet, gerade im Forschungsbereich, aber auch in der Lehre. Hier wird es sicherlich einige Kontaktpunkte mit der Informatik geben.

So, und nun noch zum Formellen... Da kann ich zunächst nur konkrete Informationen bis zum Vordiplom geben. Das Problem ist, daß es keinen fest vorgeschrieben Studienplan für GS als Informatik Nebenfach gibt. Das wird alles noch mit den Profs direkt besprochen. Bis zum Vordiplom habe ich allerdings jetzt eine Richtlinie, an die man sich halten kann.

Aufgebaut ist das Magisterstudium GS wie folgt:

Bereich Sprachpraxis (1):
DGS Grundstufe 6 SWS
DGS Aufbaustufe I 6 SWS
DGS Aufbaustufe II 6 SWS
Bereich Linguistik (2):
Seminar Ia, i.d.R. Einführung in die GS-Linguistik 5 SWS
Seminar Ib 4 SWS
Bereich Soziologie und Kultur (3):
Seminar Ia, i.d.R. Einführung in die Kultur der GS-Gemeinschaften 5 SWS
Seminar Ib 4 SWS

So, und als Informatiker braucht man davon folgendes: mindestens zwei Sprachkurse (12 SWS) sowie entweder aus Bereich (2) ODER (3) jeweils das Ia UND Ib Seminar, (9 SWS) oder aus Bereich (2) UND (3) jeweils das Ia Seminar. (10 SWS)

Insgesamt sind das also ca. 21/22 SWS bis zum Vordiplom. Viel Aufwand für ein Nebenfach, zumal ich nur empfehlen kann, ALLE Sprachkurse zu besuchen. Ich denke aber, daß sich der Aufwand lohnt. Bevor Ihr Euch den Studienplan genehmigen lassen wollt (wenn es überhaupt interessant für Euch ist), solltet Ihr noch einmal mit den Profs dort sprechen...

Die Adresse des FB ist:
Zentrum für Deutsche Gebärdensprache
Binderstr. 34
20146 Hamburg
Tel: (040) 4123 - 3240

Öffnungszeiten des Sekretariats:
Mo: 9:00 - 14:00 Uhr
Di/Mi: 9:00 - 12:30 Uhr
Do: 13:00 - 16:00 Uhr

Und die zwei Profs, mit denen man über sein Vorhaben persönlich sprechen kann:
Frau Prof. Fischer: 4123 - 6740
Herr Prof. Prillwitz: 4123 - 2541

Achja, noch ein: Natürlich haben das Zentrum für Gebärdensprache schon lange ihren eigenen WWW-Server!

Okay, das war es dann. Ich stehe gerne noch für Fragen zur Verfügung.

Volker Lehmann
v.lehmann@research-int.com


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Arne Witte
Mon Jan 27 11:59:00 MET 1997